Inhaltsstoffe in Lebensmitteln, die vielleicht nicht Halal sind

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Muhammed F. Bayraktar / 23.07.2017

Frage:

Bismillah,

Wie sollte ein Mensch mit Inhaltsstoffen und dergleichen umgehen, die Ḥarām sein könnten? Beispiel hierfür wären E-Nummern, oder Glycerin und dergleichen.

Ist der Muslim verpflichtet darüber zu forschen und dies herauszufinden?

Antwort:

Bismillah,

Ich werder hier wiedergeben, was ich von meinen Lehrern gelernt habe (unter denen einige andere Positionen vertraten).

Die wohl bekanntere Position besagt, dass jeder dies erforschen und herausfinden muss - und bei Zweifel die Person sich von dieser Speise fernhalten muss.

Die andere Position, die ich von der Mehrheit meiner Lehrer gehört habe (Sh. Faraz, Sh. Qays, Sh. Sohail Hanif, Sh. Hamza Karamali und andere) besagt, dass ein Muslim sich über die Inhaltsstoffe nicht erkundigen muss und die Dinge so nimmt, wie sie augenscheinlich zu erst erscheinen. Nur bei Sicherheit, dass das Produkt wirklich Ḥarām enthält  oder es einen gut begründeten Zweifel gibt, dass sich darin Ḥarām befinden könnte, dürfen diese Speisen nicht verzehren werden.

1. Im Fiqh lautet die Grundlage: "Alles ist erlaubt, solange nicht  sicher ist, dass es verboten ist." Daraus ist zu erst zu verstehen, dass alle Speisen die der Mensch im Supermarkt kaufen kann, wie Kartoffelchips, Schokolade, Brot, Milch, Käse und dergleichen und von wo anders zu allererst einmal Halal sind. Einzig bei begründetem Zweifel ist das Essen nicht erlaubt. Das heißt, entweder weiß jemand aus Erfahrung oder gesicherter Kenntnis, dass sich darin Ḥarām enhält oder in der Überzeugung der Person herrscht eine starke Vermutung, dass sich darin Ḥarām befindet. Dann ist der Verzehr dieser Speise nicht erlaubt. Ist sich aber jemand unsicher und hat nur Vermutung, aber keine überwiegende Vermutung (also er ist 50/50), ist der Verzehr nicht Ḥarām, aber besser zu meiden. Ist aber eher wahrscheinlich, dass die Speise ḥalāl ist, und es gibt die Möglichkeit dass sie Ḥarām sein könnte, wird auf diese Möglichkeit nicht geachtet und sie wird ignoriert. Diese Speise darf verzehrt werden.

2. Das Nachfragen, ob augenscheinlich offensichtliche Ḥalāl-Waren nicht vielleicht doch Ḥarām enthalten oder Ḥarām sind, ist nicht notwendig. Dies ist gemäß dem Imām al-Nawawī sogar eine üble Neuerung (bidʿa): 

„Und die Aussage des Gesandten Gottes - Segen und Friede seien auf ihm - „Zwischen beidem liegen zweifelhafte Dinge“ bedeutet: Zwischen dem Erlaubten und dem Verbotenen gibt es Dinge, von denen zweifelhaft ist, ob sie dem Erlaubten oder dem Verbotenen zuzurechnen sind. Solange kein Zweifelsfall vorliegt, liegt keine Tadelhaftigkeit vor und trotzdem nachzufragen, ob etwas nicht doch zweifelhaft ist, wäre eine üble Neuerung (bidʿa). Dies ist wie in folgendem Fall: Wenn ein Auswärtiger mit Waren kommt, die er feilbietet, dann ist es nicht nötig, über diese Untersuchungen anzustellen, ja dann ist dies nicht wünschenswert, vielmehr gilt das Nachfragen über sie als tadelnswert.“ [Imām un-Nawawī meint hier, das Fragen nach dem Zustand einer offensichtlich erlaubten Ware, also das „herumstochern“ nach ihrem Zustand und das Suchen nach Mängel.] (Imām un-Nawawī, Šarḥ Ṣaḥīḥ Muslim)

Imām al-Ġazālī - möge Allāh sich seiner erbarmen - schreibt in seinem Kimyā al-saʿādāt: "Wisse sehr wohl, dass Gott den Menschen nicht befahl: Ihr sollt nur essen, was absolut Ḥalāl ist, also jenes, was Allah der Erhabene selbst als Ḥalāl weiß. Dies kann nämlich niemand einhalten. Gott befahl anstelle dessen: "Esst von dem, was ihr als Ḥalāl kennt.“ Es wurde gesagt, meidet das offenkundige Ḥarām und dies kann jeder tun. Der Gesandte Allahs – Frieden und Segen seien auf ihm – vollzog seine Waschung mit dem Wasser aus dem Behälter eines Götzendieners. ʿUmar – möge Allah mit ihm zufrieden sein – vollzog seine Waschung mit dem Wasser aus dem Behälter einer Christin. Die edlen Gefährten des Propheten – möge Allah mit ihnen allen zufrieden sein –  tranken das Wasser, welches die Kuffār ihnen gaben. Dabei aber ist es Ḥarām das Unreine und Verschmutzte zu essen oder zu trinken und die Nichtmuslime befinden sind oftmals im Zustand ritueller Unreinheit und verwenden das Ureine. An ihren Händen und in ihren Gefäßen befindet sich Wein und sie verzehren Aas. [Das heißt, sie verzehren Fleisch von Tieren, die nicht im Namen Allahs geschächtet wurden oder die nicht geschächtet wurden.] Doch solange die Unreinheit nicht sichtbar war, erachteten sie es als rein an und aßen es. In den Städten der Kuffār kauften sie von den Schriftbesitzern Fleisch und Käse und aßen es. Dabei gab es in diesen Städten Nichtmuslime, welche mit Zins handelten, Alkohol verkauften und der Welt verfallen waren. [...] [Das heißt, diese Großen erkundigten sich nicht ob etwas hinzugefügt wurde.]." 

Am Ende des Buches Ḥadīqa des ʿAbd al-Ġanī al-Nablūsī heißt es:  "In der Fatāwā Qāḍīḫān steht: „Heutzutage ist es unmöglich sich vor zweifelhaftem Besitz in Schutz zu nehmen. Heute ist es Pflicht, dass sich die Muslime vor dem in Schutz nehmen, was sie als sicheres Ḥarām wissen.“ Heute aber ist es noch schwerer, denn im Hadith heißt es: „Ein jedes Jahr ist schlimmer als das vorherige Jahr.“ Daher ist die heutige Achtsamkeit (warʿa) und die Gottesfurcht (taqwā) das Herz, die Zunge und alle Körperglieder vom Ḥarām zu schützen, Menschen und Tieren kein Unrecht und Leid zuzufügen und den Arbeitnehmern ihren Lohn direkt auszuzahlen. Er sollte nicht einmal seine Schüler Arbeiten erledigen lassen, mit denen diese in ihren Herzen unzufrieden sind."

Die Gelehrten der Ḥanafīten sagten auch: "Wenn Fleisch von einem muslimischen Metzger gekauft wird und es ist nicht bekannt, wie dieses Fleisch geschächtet wurde und es gibt die Möglichkeit, dass es Ḥalāl sein kann, ist es erlaubt dieses Fleisch zu essen. Sieht jemand, dass es Ḥarām ist oder ein aufrichtiger Muslim berichtet, dass dies Ḥarām ist und es wird dadurch sicher, ist der Verzehr nicht mehr erlaubt. Das Nachfragen und Nachforschen jedoch ist nicht notwendig. Im Dār al-islām soll das zweifelhafte Fleisch der Muslime gegessen werden und es darf keine Waswasa gepflegt werden."

3. Zweifel sind nur dann legitime Zweifel, wenn eine starke Wahrscheinlichkeit oder Vermutung herrscht. Alles andere ist Waswasa. Diesbezüglich sagt Ibn Daqīq al-ʿĪd in seinem Kommentar zu den vierzig Ḥadīṯ des al-Nawawī:

Ein Gelehrter sagte: Die zweifelhaften Dinge sind in drei Klassen unterteilt:
[Erstens:] Dasjenige, wovon der Mensch zwar weiß, dass es verboten ist, er dann aber [in einem bestimmten Fall] zweifelt, ob das Verbot noch greift oder nicht. So etwa bei dem, was dem Menschen zu essen verboten ist, bevor die rechtlich einwandfreie Schlachtung durchgeführt ist: Wenn jemand zweifelt, ob die Schlachtung rechtlich einwandfrei ist, dann greift das Verbot; ist dies jedoch sichergestellt, dann greift es nicht mehr. Das Prinzip (Qāʿida) wovon diese Regelung abgeleitet ist, findet sich in dem Ḥadīṯ nach ʿAdī [ibn Ḥātim], der bereits erwähnt wurde.
[Zweitens:] Der gegenteilige Fall, wenn nämlich etwas erlaubt ist, man aber zweifelt, ob [oder unter welchen Umständen] es verboten ist. So wie etwa ein Mann, der zweifelt, ob [oder unter welchem Umständen] er seine Ehefrau [erlaubtermaßen] verstoßen kann, oder einer, der zweifelt, ob [oder unter welchen Umständen] er seine Dienerin [erlaubtermaßen] freilassen kann. Was in diese Klasse fällt, gilt als freigestellt [das heißt, man darf es tun oder nicht], bis man genau weiß, dass es verboten ist. Das Prinzip wovon diese Regelung abgeleitet ist, findet sich im Ḥadīṯ nach ʿAbdullāh b. Zaid, wo von jemandem die Rede ist, von dem zweifelhaft war, ob er sich [während des Gebets] verunreinigt hat, nachdem er zuvor durch die Waschung die rituelle Reinheit gewissenhaft hergestellt hatte.
Die dritte Klasse sind Dinge, die zweifelhaft sind und man nicht weiß, ob sie erlaubt oder verboten sind, wobei beides gleichermaßen möglich ist [das heißt, es gibt eine 50:50 Möglichkeit] und keine entscheidende Hinweisung auf die Richtigkeit einer der beiden Möglichkeiten vorliegt [und somit keine überwiegende Vermutung zustande kommt]. In diesem Fall ist es am besten [aber keine Pflicht und auch keine Sünde], sich einer Sache zu enthalten, so wie es der Prophet - Segen und Friede seien auf ihm – getan hat, als er in seinem Haus eine Dattel fand, die auf den Boden gefallen war, denn er sprach: „Würde ich nicht fürchten, dass sie Teil eines Almosen ist, dann äße ich sie.“

Wenn aber jemand das Gegenteil dessen, was sich ihm bei einer fraglichen Angelegenheit als wahrscheinlich darstellt, als möglich annimmt, so gibt es dafür keine Rechtfertigung. [Das heißt, man ist über eine fraglichen Angelegenheit mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer Antwort zugeneigt, das es z.B. erlaubt ist, aber nimmt dann das Gegenteil dessen an.] So etwa, wenn es jemand unterlässt, Wasser [zur Waschung] zu benutzen, das noch seine [reinen] Eigenschaften besitzt, aus Furcht, es könne ja doch darin eine Verschmutzung stattgefunden haben. Oder wie jemand, der das Gebet an einem Ort unterlässt, an dem nichts Unsauberes zu sehen ist, aus Furcht, es könnte sich dort Urin befinden, der inzwischen getrocknet und somit nicht mehr sichtbar ist; oder wie jemand, der ein Gewand wäscht, aus Furcht, es könnte verschmutzt worden sein, obwohl keine Verschmutzung daran zu sehen ist; und was der ähnlichen Fälle mehr sind. Verhält sich jemand so, dann darf man dies nicht weiter zur Kenntnis nehmen, denn das Vermeiden von Handlungen um solch abstruser Möglichkeiten willen ist Geistesverwirrtheit. Die fromme Gewissenhaftigkeit [Taqwā], die angeblich in einem solchen Verhalten liegen soll, ist nichts als die Einflüsterung des Teufels, weil sich bei alldem ja überhaupt nicht ernsthaft die Frage stellt, ob etwas zweifelhaft ist! Und Gott weiß es am besten!" (Kommentare in eckigen Klammern sind von mir.)

Von diesen drei Regeln wollen wir ein Fallbeispiel geben: 

Oft wird die Frage über Mono - und Diglyceride von Speisefettsäuren gestellt. Erste Regel ist, dass wenn ein Produkt gekauft wird, von dem auszugehen ist, dass es eigentlich Ḥalāl ist, der Käufer sich nicht die Inhaltsstoffe ansehen muss. Sieht er sich doch die Inhaltsstoffe an und stößt auf eine ihm unbekannte Zutat, muss er sich nicht darüber erkundigen, außer sie ist ihm nicht unbekannt und er weiß, dass diese das Potenzial hat, ḥarām zu sein. Besitzt er diese Kenntnis, dann wird geschaut ob die Zutat mit größerer Wahrscheinlichkeit ḥalāl oder ḥarām ist. Bei der genannten Zutat Mono - und Diglyceride von Speisefettsäuren ist die Regel, dass es pflanzlichen Ursprungs ist. Es kann aber tierischen Ursprungs sein. Hier hält sich die Person an das, was die Regel ist. Die Wahrscheinlichkeit also, dass die Zutat ḥalāl ist, ist höher als die Wahrscheinlichkeit, dass sie Ḥarām ist. Diese könnten auch tierischen Ursprungs sein, aber diese Möglichkeit wird nicht angenommen. Ein Nachfragen wäre nur das Nähren von Waswasa.

Und Allah weiß es am besten. 

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